Industrie 4.0 ist keine Revolution!
Im Juni 2013 hatte ich (Cüneyt Tural) eine Reihe von Blog Beiträgen "Von James Watt zu Social Media" veröffentlicht, in denen ich die industriellen Evolutionen Industrie 1.0, Industrie 2.0, Industrie 3.0, Industrie 4.0 aus der Sicht von Performance Management und Arbeitsorganisation beschrieben hatte.
"Dabei soll Industrie 4.0 auf die vierte Phase der industriellen Evolution verweisen. Mit den Modeströmungen wie Management 2.0, Management 3.0, Web 2.0 etc... hat die Notation aber nichts zu tun.
Nur eine neue Evolution in der Industriegeschichte bahnt sich an, auch wenn manche Experten von einer Revolution sprechen."
Die Beschreibung der vier Phasen der industriellen Evolution (s. Bild unten) ist zwecks Erklärung der Industrie 4.0 nicht ausreichend, da der Fokus sich auf die technologische Entwicklung reduziert. Die gegenwärtige Entwicklung betrifft die gesamte Gesellschaft und die gesellschaftlichen Strukturen auf globaler Basis. Die Smart Service Welt müssen wir mehrdimensional erklären. Sonst besteht die Gefahr, dass wir uns nur punktuell auf Smart Factory Gedanken machen und die globale Vernetzung von vielen Smart X ausblenden.
Die Frage, wie sich die globale Smart Service Welt bzw. das Neuland Internet der Dienstleistungen entwickeln wird, wenn 70 000 Studenten aus sämtlichen 193 Ländern der Erde bei MIT "studieren", können wir mittels der im Bild dargestellten Phasen nicht in allen Dimensionen beantworten.
Insofern freut es mich, dass immer mehr Menschen den Begriff Industrie 4.0 über Fertigungsautomatisierung hinaus als ein Thema der digitalen Gesellschaft betrachten. Daher sollten wir uns die vier Evolutionen nochmals vergegenwärtigen:
Industrie 1.0
Im Jahr 1765 erfand James Watt die Dampfmaschine. Die Dampfmaschinen an Webstühlen ermöglichten den Textilmanufakturen in Großbritannien eine hundertfache Produktivitätssteigerung.
James Watt leitete die Ära Performance Management 1.0. Die Unternehmensorganisationen waren Manufakturen mit hoher Eigenkomplexität.
Industrie 2.0
Frederick W. Taylor (1856 - 1915) leitete mit der Veröffentlichung seines Werks „The Principles of Scientific Management" (1911) die Ära Management 2.0 sowie Industrie 2.0 ein. In seinem Buch beschrieb er einen genialen Ansatz für die Anpassung der organisatorischen Eigendynamik in Unternehmen auf das Niveau der Dynamik in den Unternehmensumwelten, vor allem auf das Niveau der Dynamik damals entstandenen trägen Massenmärkte.
Die Umsetzung seiner wissenschaftlichen Ideen ermöglichte Unternehmen die Steigerung ihrer Produktivität noch einmal um das Hundertfache. Die Taylor-Ideen zogen im Laufe der Dekaden unzählige Unternehmer, Politiker, Wissenschaftler in West wie Ost in ihren Bann.
Auch W.I. Lenin soll von Taylor sehr angetan worden sein.
Industrie 3.0
In der zweiten Hälfte der 70er des vergangenen Jahrhunderts begann die Ära der Automatisierung durch die Verbreitung der Computer. Die formalisierbaren/technisierbaren Anteile des menschlichen Tuns werden seitdem bis heute sukzessive technisiert.
1990 markierte das Buch Die zweite Revolution in der Autoindustrie von Womack, Jones, Roos einen neuen Meilenstein, in dem u.a. folgende Passagen zu lesen waren:
»Henry Fords Massenproduktion war die Triebfeder der Autoindustrie für mehr als ein halbes Jahrhundert und wurde schließlich in fast jedem Industriezweig in
Nordamerika und Europa übernommen. Heute jedoch verhindern eben diese Methoden durch ihre weitverzweigte Verwurzelung in der gängigen Produktionsphilosophie die Bemühungen vieler westlicher Unternehmen, zur schlanken Produktion zu übergehen« (Seite 34). Management 3.0 sowie Industrie 3.0 fokussierte auf die Herausforderungen
„Verschlankung der Unternehmensorganisationen einerseits"
und
„gekonnten Umgang mit der Globalisierung andererseits".
Die meisten Unternehmen versuchen die Transformation in die Zukunft heute noch mit dem tayloristischen Denken anzugehen. Die europäische Industrie entdeckte das Lean Management bzw. die japanischen Management-Ansätze, die allerdings vor allem bedingt durch die kulturellen und geo-politischen Unterschiede zwischen Japan und Europa in großen Teilen nicht transportierbar waren.
Industrie 4.0
structure follows environment ist unser Leitsatz für Management 4.0 sowie Industrie 4.0 in unserer Dekade.
In der globalen Kompetenzgesellschaft stellt Wissen keine Macht mehr dar; Im Zeitalter Industrie 4.0 müssen Unternehmen ihre Strukturen zur Wertschöpfung fortlaufend dahin gehend überprüfen, wie ihre Umwelten die Performance der Wertschöpfungsprozesse beeinflussen. Die durchgängige Synchronisierung von global verteilten Überraschungsquellen in den Unternehmensumwelten mit den Geschäftsprozessen ist die Herausforderung für Management 4.0. In der Ära Management 4.0 werden Social Media Plattformen mit dem Prozessnetzwerk in Unternehmen verwoben. Gekonnter Umgang mit der Komplexität bzw. Dynamik wird zur Kernkompetenz für Manager.
Unternehmen brauchen Organisationen und Mitarbeiter, die zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Ideen haben, um mit den Überraschungen aus ihren Umwelten existenzsichernd umgehen können. Noch mehr Kontrolle, noch mehr Weisungen, noch mehr Überwachung sind der gesicherte Untergang für Unternehmen. Der konzeptionelle Fokus der Industrie 4.0 ist auf Produktion für diese Phase ausgerichtet.