Industrie 4.0 - ja, aber...! nix da .. ebbes schwanger gibt es nicht!

Dr. Andrea Fehrmann ist in der Bezirksleitung der IG Metall Bayern für Industriepolitik zuständig. Außerdem ist sie stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende bei Bosch Rexroth.

Mit Dr. Fehrmann sprach Bayern 5. Das Interview habe ich durch meine eigenen Ansichten etwas ergänzt.

Künftig werden vollkommen neue Wertschöpfungsnetzwerke entstehen. Aber das betrifft ja nicht nur Industrie 4.0. Es geht schließlich auch um die vollständige Digitalisierung unserer Lebens- und Arbeitswelt (tural: die Gestaltung von neuen Cyber-Physischen Verhältnissen, Digitalisierung ist nur ein Teil davon. Zudem halte ich die Digitalisierung für einen nicht passenden Begriff.). Das heißt nichts anderes, als dass Menschen, Objekte und System miteinander vernetzt werden und zwar über Firmengrenzen (tural: und die nationalen Grenzen) hinweg. Man kennt diese Ideen schon von Google Car beispielsweise. Und damit kommen einige Herausforderungen auf uns zu. 

industrie 4.0 by fehmi alagün

© Prof. Dr. Fehmi Alagün

Es werden vollkommen neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Menschen und Maschinen entstehen, darüber werden neue Geschäftsfelder (tural: und Geschäftsmodelle) entstehen. Wir stellen uns die Frage, wie kann Industrie 4.0 in Bezug auf den Arbeitsmarkt gestaltet werden? Denn von dieser Entwicklung werden alle Beschäftigten betroffen sein, unabhängig von ihrer Funktion und auf welcher Ebene sie tätig sind. Egal ob im Vertrieb oder in der Produktion, Industrie 4.0 wird sich zwangsläufig auf Kommunikation und Arbeitsinhalte auswirken.

Br.de/nachrichten: Welche Qualifikationen muss der Arbeiter von morgen mitbringen?

Fehrmann: Die Mitarbeiter müssen sich darauf einstellen, dass sich die Anforderungen permanent ändern werden. Das macht die Arbeitswelt komplexer. Es wird mehr Selbstständigkeit verlangt, der Angestellte wird häufiger eigenverantwortlich Entscheidungen treffen und Probleme lösen müssen. Zudem wird er deutlich flexibler werden müssen, was die Anwendung von Technologien angeht.

Br.de/nachrichten: Bedeutet das, dass die Arbeitswelt härter, weniger arbeitnehmerfreundlich wird?

Fehrmann: Nicht unbedingt (tural: die Frage stellt sich gar nicht, da es nicht um Freundlichkeit oder Unfreundlichkeit geht.). Industrie 4.0 bietet durchaus auch einige Chancen für die Arbeitnehmer, wenn zum Beispiel durch Weiterbildungen dafür gesorgt wird, dass deren Kompetenzen (s. Kompetenzen fit for 2020 ) ständig erweitert werden. Auch können die neuen Technologien helfen, Arbeit altersgerechter zu machen. Eine digitalisierte (tural: cyberphysische) Arbeitswelt könnte außerdem die Möglichkeit bieten, Beruf und Privatleben besser zu vereinen. Auf der anderen Seite besteht das (tural: negative) Risiko, dass menschliche Arbeit zu einem "passiven Element" in der Wertschöpfung verkommt.

Die ständig neuen Anforderungen und der hohe Grad der Flexibilisierung bieten natürlich auch enorme Stresspotenziale. Außerdem befürchten viele, dass mit der Digitalisierung und Vernetzung Arbeitsplätze verloren gehen und gleichzeitig Leiharbeit und Dumping-Modelle gefördert werden. Daher muss beispielsweise gewährleistet werden, dass die Zugangsbarrieren für angelernte Arbeitskräfte gesenkt werden. Denn sie wären sonst die ersten, die hinten runter fallen (tural: leider wird es auch so kommen. Alle Tätigkeiten, die digitalisierbar, technisierbar, automatisierbar sind, werden digitalisiert, technisiert, automatisiert. Was Roboter machen können, werden sie auch machen. Dieser Prozess dauert bereits seit gut drei Dekaden).

Br.de/nachrichten: Hier kommt die Politik ins Spiel - was erwarten Sie von ihr? Fühlen Sie sich ausreichend in die Diskussion um Industrie 4.0 einbezogen?

Fehrmann: Wir fordern schon seit längerem, die Interessenvertretungen stärker in die Debatte miteinzubeziehen. Bislang wird in der Politik nur über den technologischen Aspekt von Industrie 4.0 gesprochen. Wir möchten aber, dass auch diskutiert wird, wie die Arbeitsorganisation aussehen kann.

Denn eines steht fest: Wir wollen die Technik nutzen, aber wir wollen uns definitiv nicht von ihr lenken lassen. Es geht also nicht nur um die Frage, wie die Fabrik von morgen aussieht. Es geht vielmehr auch darum, wie das Arbeitssystem der Zukunft aussieht. Deswegen ist es notwendig, dass es bei der Konzeption von smarten Fabriken nicht nur um technische Aspekte geht, sondern auch um Arbeitsorganisation und Beschäftigung. (tural: ich halte es für naiv, von der Politik die arbeitspolitische Transparenz zu erwarten: Die nächsten Wahlen kommen bestimmt. Mir würde es genügen, wenn die Politik nicht für die Tribüne spielen würde. Die voraussehbaren Umwälzungen sind so groß, dass die gesellschaftlichen Auswirkungen zu ebenso großen Enttäuschungen und zu sozialen Spannungen führen könnten.

Es ist an der Zeit, dass wir über die EU-weiten Strukturen und Arbeitsorganisationen der nahen Zukunft nachdenken.